Schwammstadtprinzip: Zukunftsmodell gegen Auswirkungen des Klimawandels – Tiefbau Magazin

Wie Tiefbau und intelligente sowie nachhaltig gedachte Städteplanung ineinandergreifen, um wertvollen Lebensraum zu schaffen, das zeigt das Schwammstadtprinzip auf. Ein Überblick über das Zukunftsmodell, das in immer mehr Städten in ganz Österreich Einzug hält.

Eines hat sich in den letzten Jahren mit den von Hitzerekorden geplagten Sommermonaten gezeigt: Die Auswirkungen des Klimawandels schlagen zu – und das vor allem in den städtisch geprägten und damit stark versiegelten Gebieten unseres Landes. Immer mehr Tropennächte, zu wenig Wasser in Bächen und Flüssen, die Bildung von Hitzeinseln, Starkregenereignisse und damit zusammenhängend Überschwemmungen… Die Liste der Auswirkungen ist lange. Doch Städte können auch etwas gegen die Auswirkungen des Klimawandels unternehmen: Ein solches Zukunftsmodell ist das Prinzip Schwammstadt. Wie genau funktioniert eine Schwammstadt nun? Einfach gesagt nimmt eine Schwammstadt Wasser vor Ort auf und speichert es zwischen – der Name ist sozusagen Programm. Daraus ergeben sich für städtische Gebiete zahlreiche positive Effekte, die die Auswirkungen des Klimawandels abschwächen können – Vorzeigestädte wie Kopenhagen machen es vor.

Straßenräume erhalten einen neuen Nutzen
Straßenräume und -ränder sind nicht mehr einfach nur für den Verkehr da, sondern übernehmen gleichzeitig mithilfe von wasserspeichernden Grünflächen, großen Bäumen und Versickerungslösungen eine wichtige Rolle im intelligenten Regenwassermanagement. Eine clever angelegte Schwammstadt entlastet im Zusammenspiel das öffentliche Kanalnetz, wirkt der Bildung von Hitzeinseln entgegen und beugt noch dazu Hochwasser vor – und durchdachte Tiefbau-Lösungen, die sich genau mit solchen Herausforderungen beschäftigen, rücken dabei mit in den Fokus. Kein Wunder also, dass die Schwammstadt bei der Planung der „Stadt von morgen“ eine immer zentralere Rolle einnimmt. Ziel einer Schwammstadt ist es, wertvolle multifunktionale Räume zu schaffen, in denen Mensch, Natur und clevere Infrastruktur aufeinandertreffen und gemeinsam die klimatischen, ökologischen, sozialen und verkehrsbezogenen Gegebenheiten im urbanen Raum verbessern. Österreichweit gibt es bereits Vorzeigeprojekte, die mit dem Schwammstadt-Prinzip arbeiten, zum Beispiel die Seestadt Aspern, Linz oder auch die Stadt Graz.

Natur und Infrastruktur greifen Hand und Hand
Werfen wir einen kurzen Blick zurück ins Jahr 2018: Im April zieht ein verheerendes Italientief mit sintflutartigen Regenfällen über die Steiermark. Die Landeshauptstadt Graz ist besonders stark davon betroffen: Innerhalb von wenigen Stunden fällt so viel Regen wie sonst in einigen Monaten und überschwemmt quasi die gesamte Stadt. Das Wasser dringt in die Straßenbahn und in Einkaufszentren, überflutet das Verkehrsnetz, auch der Flughafen steht still. Einzig und allein in der Eggenberger Allee sieht es anders aus – denn dort versickern die Regenwassermengen rascher. Das ist einem der wichtigsten Akteure einer funktionierenden Schwammstadt zu verdanken: dem Baum. Es ist kein Geheimnis, dass Bäume dazu beitragen, Orte kühl zu halten, doch in einer Schwammstadt erfüllen sie weit mehr als die Aufgabe der Temperaturregulierung – sie schützen vor Hochwasserereignissen, speichern Wasser und entlasten im Falle des Falles das überlastete Kanalsystem. Damit das so gut wie möglich gelingt, müssen Bäume in der Stadt nicht nur richtig gepflanzt werden, sondern auch geeignete Baumsorten ausgewählt werden. Wenn die Bäume im Erdreich nämlich genügend Platz zum Wachsen haben, bildet sich ein verzweigtes Netz aus Wurzelwerk – und genau dieses Netz erfüllt die Funktion eines Flüssigkeitsspeichers. Stark verdichtete Böden führen dazu, dass ein Baum sein Wurzelwerk nie ganz entfalten kann und nicht genügend Platz hat – mit der Folge, dass der Baum irgendwann zu „kränkeln“ beginnt und auch seine Aufgaben als Flüssigkeitsspeicher, Schattenspender und Temperaturregulator nie in vollem Umfang erfüllen kann. Die Lösung erfordert nur ein wenig Umdenken in der Stadtplanung: unterhalb von Straßen oder Gehsteigen eine grobe Schotterschicht mitzuplanen, mithilfe von Schächten und anderen Tiefbau-Produkten das Wasser richtig einzuleiten und – wo möglich – statt auf Versiegelung auf Versickerungslösungen wie Rasengittersteine zu setzen.

Städte machen sich zukunftsfit
Österreichweit setzen immer mehr Städte auf die Schwammstadt – ein Trend, der in den letzten Jahren sehr gut beobachtet werden konnte und das nicht nur in Metropolen wie Wien. Es gibt eigene Landschaftsarchitekten, die sich genau darauf spezialisiert haben. Einer von ihnen ist DI Karl Grimm, der sich seit Jahren mit dem Schwammstadtprinzip und den sich daraus ergebenden Vorteilen für Mensch und Stadt beschäftigt. Wir haben mit dem Experten im Interview über die neuartige Synthese zwischen Tiefbau und Naturraum in Städten gesprochen.

DI Karl Grimm
Zivilingenieur für Landschaftsarchitektur,
Mitgliedschaft im Austrian Standards Institute (ASI), Kammer der ZiviltechnikerInnen
für Wien, ÖGLA-Vorstandsmitglied,
ÖGREEN-Vorstandsmitglied

Herr Grimm, inwiefern greifen Tiefbau-Lösungen und das Schwammstadtprinzip ineinander?
Das Schwammstadtprinzip für Bäume nach ÖNORM L 1112 ist eine sehr flexible Bauweise, in der Tiefbau eine wichtige Rolle spielt. Generell greifen grüne Infrastrukturen in den Tiefbau ein. Viele der Lösungen, die ein Teil des Schwammstadtprinzips sind, finden sich unter der Erde, zum Beispiel Systeme zur Regenwasserspeicherung oder die erforderlichen Rohre und Schächte zur Wasserzuleitung. Das Know-how des Tiefbaus für Regenwassermanagement wird künftig noch wichtiger werden. Regenwasser ist einerseits gut pflanzenverträglich, andererseits wird der Wasserbedarf in den kommenden Jahren steigen. Deshalb wird es immer wichtiger, das uns zur Verfügung stehende Regenwasser bestmöglich zu nutzen, zum Beispiel zur Bewässerung von Bäumen und anderen Pflanzen innerhalb der Schwammstadt. Der Tiefbau – und hier insbesondere Betonfertigteilhersteller wie die TIBA AUSTRIA – ermöglichen spezifische Lösungen für spezifische Problemstellungen und sind als Partner bei der Umsetzung von Schwammstadtprojekten unerlässlich.

Gerade in der Stadtplanung vollzieht sich langsam, aber sicher ein Strategiewechsel von der klassischen „Wasserbeseitigung“ durch den Kanal hin zu integrativen Lösungen. Wo liegen hier die großen Vorteile?
Der „Lebensraum Straße“ wird einfach multifunktionaler und entwickelt sich von der reinen Verkehrsfläche zu Aufenthaltsräumen wie Fußgängerzonen und erfasst auch den Raum unter der Erde. Indem grüne Stadträume geschaffen werden, wirkt man nicht nur urbanen Hitzeinseln entgegen und sorgt für ein günstigeres Mikroklima, sondern schafft zugleich Lebensräume, die einen positiven Einfluss auf die Befindlichkeit der Menschen haben. Bäume und Pflanzen haben eine positive Wirkung auf die Psyche. So schafft man eine Symbiose aus Stadt und Natur, die gleichermaßen gut für Mensch und Umwelt ist. Das Schwammstadtprinzip wird daher meiner Meinung nach künftig zu einem festen Bestandteil der Stadt- und Infrastrukturplanung werden, denn die positiven Auswirkungen für Städte und deren Bewohner sind einfach nicht zu übersehen.

Wie kann es Ihrer Meinung nach gelingen, dass Disziplinen wie Hochbau, Tiefbau und grüne Stadtplanung künftig noch besser ineinandergreifen?
Dafür braucht es meiner Ansicht nach eine stärkere Kooperation zwischen den einzelnen Fachbereichen und auch ein wenig Umdenken. Ich sehe Landschaftsarchitekten dabei als Vermittler zwischen den Fachplanungen. Viele der Bereiche greifen ohnehin ineinander und wenn im Planungsprozess alle von Beginn an eingebunden werden, ergeben sich daraus Lösungen, die funktionell sind und die Vorteile des Schwammstadtprinzips für sich zu nutzen wissen.

Was sind für Sie in Österreich Paradebeispiele für eine gelungene Schwammstadt?
Da gibt es einige Projekte, die meiner Meinung nach sehr gut umgesetzt wurden. In Wien gibt es zum Beispiel den Elisabeth-Sundt-Platz im Stadtentwicklungsgebiet Neues Landgut, der kürzlich mit 36 Bäumen nach dem Schwammstadtprinzip begrünt wurde. Ein Wasserspiel und die Einrichtung einer Fußgängerzone tragen zur Wohlfühlatmosphäre bei. Ein spannendes Projekt in Graz ist „MUFUWU Stadtbaum“ am Leonhardgürtel, wo das Schwammstadtprinzip besonders beeindruckend umgesetzt wurde – neue Bäume wurden gepflanzt, der Wurzelraum von bereits bestehenden Bäumen wurde erweitert, es wurden Tiefbeete angelegt und die Einleitung von Oberflächenwässern zur Bewässerung der Pflanzen sichergestellt. Bei diesem Projekt erfolgt ein Monitoring mit eingebauten Sensoren. Daten zu Wasserretention, Mikroklima, Zuwachs und Vitalität der Bäume werden ebenso erfasst wie die Wirkung der Substrate auf Pflanzenkohlenbasis. Die gewonnenen Daten und Erkenntnisse sollen künftig eine gute Grundlage für weitere Schwammstadtvorhaben in Graz bilden.

Wir beobachten, dass das Schwammstadtprinzip für Bäume immer beliebter wird. 2021 waren in Österreich etwa 20 umgesetzte Projekte bekannt. 2023 waren wir bei etwa 60 Projekten. Das zeigt, dass sich hier eindeutig etwas tut – und das ist auch gut so.

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