
Dass für Christian Nageler, Leitung Vertrieb & Produktmanagement der KCS, Geschäftsführer der TIBA Austria GmbH und Co-Geschäftsführer der Kirchdorfer-Concrete-Solutions-Trägergesellschaft MABA Fertigteilindustrie GmbH das Wort „innovationsgetrieben“ ad personam Gültigkeit besitzt, wird im Gespräch mit dem gebürtigen Osttiroler förmlich greifbar. Immer wieder schnellt er aus seinem Sessel und während er Sachverhalte erklärend im Raum auf und ab geht, scheinen sich in seinem Kopf bereits die Stränge zukünftiger Innovationen miteinander zu verknüpfen.
Sie üben sowohl in der Kirchdorfer Concrete Solutions (KCS) wie auch in deren Tochterunternehmen, der TIBA, Geschäftsführungsfunktionen aus. Wie stehen „Mutter“ und „Tochter“ zueinander?
Die KCS entspringt der Intention, die Kompetenzen der verschiedenen Tochterunternehmen nach Geschäftsfeldern gegliedert auf den Markt und zu unseren Kunden hin auszurichten. Für alle diese Betonfertigteil-Geschäftsfelder, die die KCS abdeckt – Tiefbau, Straße, Bahn, Hoch- und Industriebau sowie Tunnel –, gibt es umfassende Leistungsverzeichnisse, in denen man auf einen Blick unsere Produkte und ihre Beschreibungen ersehen kann. Dafür haben wir ein Produktordnungsgitter geschaffen und die Produkte neu zugeordnet. Die Kirchdorfer Concrete Solutions ist in dieser Hinsicht eine Vertriebsmatrix, die die von ihr getragenen Firmen zusammenfasst. Die einzelnen Gesellschaften werden unter dieser Matrix zu Kompetenz- und Produktionsstandorten. Und das spiegelt sich auch in Forschung und Entwicklung wider, wo es darum geht, Anforderungen des Marktes so rasch wie möglich mit innovativen Produkten und Dienstleistungen zu begegnen. Das heißt, dass Forschung, Entwicklung und damit Innovation nicht mehr im stillen Kämmerlein der jeweiligen Tochterunternehmen betrieben, sondern auf die Ebene der KCS gehoben werden, was Innovationsdichte und -geschwindigkeit deutlich erhöht hat. Mit den Produktmanagern haben wir diese Koppelung von Markt und Innovation in den jeweiligen Geschäftsfeldern auch personifiziert.
In welchen Bereichen wird derzeit geforscht und entwickelt, was sind die brennenden Themen, die sie zurzeit beschäftigen?
Im Tiefbau sind wir derzeit ganz massiv an dem Thema Geopolymere als Ersatzbindemittel für den Zement dran. Gemeinsam mit der TU Graz betreiben wir ein Forschungsprojekt.
Dabei geht es um die Reduktion des CO2-
Ausstoßes bei der Betonherstellung, ODER?
Das ist ein Aspekt, es gibt aber einen zweiten. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die Verwendung von Geopolymeren als Bindemittel auch die Haltbarkeit des Betons in Abwassersystemen, sprich Kanälen, erhöht und zwar signifikant. Die TU Graz als langjähriger Forschungspartner beschäftigte sich in einer Untersuchung mit der Aggressivität von Schwefelwasserstoffen im Abwasser. Das Ergebnis: Schwefelsäure-Korrosion zerfrisst den Beton. Aufgrund von Sauerstoffmangel kann unter bestimmten Bedingungen, vor allem aber bei hohen Temperaturen an bestimmten Stellen von Kanalsystemen aus schwefelhaltigen Verbindungen
Schwefelwasserstoff entstehen. In dessen Gefolge wiederum können bakteriologische Prozesse auftreten, die dem Beton zusetzen. Die Sanierung solcher Schäden wäre aufwendig und würde die öffentlichen Haushalte jährlich mit Millionensummen belasten. Für uns war sofort klar, dass wir unser Know-how zur Entwicklung einer resistenten Lösung in die Waagschale werfen müssen, um Beton als den unangefochten führenden Werkstoff in diesem Bereich hinsichtlich Langlebigkeit sowie ökologischer und ökonomischer Effizienz noch weiter zu optimieren. Und so sind die Geopolymere ins Spiel gekommen.
Warum Geopolymere?
Die Grundüberlegung war folgende: Versuchen wir es einfach einmal mit einem anderen Material, das diesen Angriffen besser standhält. Aber es gibt hinter dieser Entwicklung noch ein weiteres Motiv. Wir sind im Kanalschachtbau österreichischer Marktführer und verstehen uns als ein nachhaltig agierender mineralischer Fertigteilhersteller. Daher haben wir es uns zum Ziel gemacht, die Kunststoffe, die derzeit, mit dem Beton kombiniert, die Abwassersysteme gegen Korrosion schützen sollen, aber auch bei Sanierungen zum Einsatz kommen, überflüssig zu machen. Im Zuge dieser Diskussion sind wir dann auf die Option Geopolymere gekommen. Als positiver „Nebeneffekt“ fällt ins Gewicht, dass Geopolymere auch beim CO2-Ausstoß wesentlich besser bilanzieren. Nicht nur besser als auf Zementbasis erzeugter Beton, sondern auch besser als Kunststoffe, die ja schließlich aus fossilen Rohstoffen erzeugt werden.
Wo stehen Sie in diesem Entwicklungsprozess?
Wir wissen, dass unsere Lösung die Lebensdauer des Produktes signifikant erhöht. Wir haben diesen Effekt in Versuchen nachgewiesen, testen die Lösung derzeit aber mit einem Pilotsystem unter Realbedingungen. Wir haben für unsere Lösung eine eigene Geopolymer-Rezeptur entwickelt und damit im Grunde einen neuen Werkstoff kreiert. Es handelt sich um einen Geopolymerbeton mit Basalt- und Kupferanteilen, der Bakterien tötet und damit den Schwefelsäureangriff abschwächt. Neben der Reduktion der Schwefelsäure-Korrosion und der damit einhergehenden höheren Lebensdauer bringt dieser neue Betonwerkstoff auch einen viel geringeren CO2-Eintrag bei der Herstellung.
Nehmen Sie mit diesem Konzept eine
Vorreiterrolle ein?
Ja, denn wir sind mit unserer Lösung gleich einen Schritt weiter gegangen. Die Anforderung, die vonseiten unserer Kunden und des Marktes an uns herangetragen wurde, bezog sich nämlich nicht auf ein gänzlich neuartiges Produkt, sondern zielte auf eine Verbesserung der Sanierungsmöglichkeiten ab. Unser Ansatz war hingegen, das Produkt gleich von Grund auf neu zu denken und dadurch eine Sanierung wenn möglich überflüssig zu machen oder den Zyklus massiv zu verlängern.
Wann werden Sie mit dieser Lösung tatsächlich auf dem Markt sein?
Das Forschungsprojekt läuft bis 2023, das ist unser Horizont. Unsere Lösung könnte tatsächlich die Abwasserwirtschaft verändern, gerade auch in südlicheren Hemisphären. Je wärmer nämlich das Klima in einem Land ist, desto größer ist das Problem der Verdampfung und der biologischen Filmbildung im Abwasser. Je wärmer, desto massiver also das Korrosionsproblem. Mit unserer Geopolymerentwicklung reduzieren wir diese Korrosion ganz erheblich. Das ist eine wirkliche Revolution.
Lässt sich dieser neue Werkstoff auch entsprechend verarbeiten?
Daran arbeiten wir gerade. Ziel ist es, aus dieser speziellen Betonmischung maschinell Fertigteile herzustellen. Schaffen wir das, dann bieten sich uns enorme Marktchancen, denn die einzige Alternative wäre Kunststoff. Und Kunststoff hat nicht nur den Makel, aus fossilen Ölquellen zu stammen, sondern bringt – etwa bei hohem Grundwasserstand bzw. im Falle von Überflutungen – auch nicht die erforderliche Stabilität gegen Auftrieb mit.
Ist das eigentlich ein spezifischer unternehmenskultureller Zugang, der Sie in der KCS einfach noch einen Schritt weiter denken lässt?
Wir sind bei der KCS so eingestellt, dass wir nicht nur das einzelne Produkt im Blick haben, sondern das große Ganze – nicht nur über Produkt- und Firmengrenzen hinweg, sondern auch immer in Kreisläufen denkend. Zum Beispiel bei einem Bahnprojekt in Oberösterreich, wo jetzt alte Holzlärmschutzwände durch moderne Holzbeton-Lärmschutzwandelemente aus unserer Fertigung ausgetauscht werden. Faktum ist: Die alten Holzwände müssen entsorgt werden. Mit unserer in der Kirchdorfer-Gruppe angesiedelten Recyclingfirma können wir die alten Holzwände recyceln und im Zementwerk als Ersatzbrennstoff einsetzen. Und mit dem Zement, der dort entsteht, werden vor Ort in Oberösterreich, also regional, die neuen modernen Lärmschutzwandelemente produziert, die die alten Holzwände ersetzen. Das ist ein nachhaltiger regionaler Kreislauf. Wir haben immer versucht, regionale Wertschöpfungskreisläufe zu forcieren.
Spielen Umwelt- und Klimathemen in Ihrem Entwicklungsportfolio generell eine bedeutende Rolle?
Selbstverständlich. Viele der Themen, die in diesem Zusammenhang jetzt auch politisch forciert werden, sind Themen, in denen wir bereits sehr stark präsent sind und die wir in unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit vorantreiben. Ein solches Thema ist zum Beispiel der MOVEBLOC®, eine topdesignte mobile Betonfertigteil-E-Ladestation für den privaten und öffentlichen Einsatz, etwa bei Unternehmen, entlang von Radrouten, bei Hotelanlagen etc. Das Elektrofahrrad verzeichnet enorme Zuwachsraten und wird bald ein ganz normales Verkehrsmittel, auch für den Weg zur Arbeit sein. Uns hat das dazu motiviert, auf innovative Weise die dafür nötige Infrastruktur bereitzustellen.
Wie weit sind Sie damit vorangekommen?
Der MOVEBLOC® (www.move-bloc.com) ist inzwischen bereits erhältlich und wurde auch schon an einigen Standorten, wie z.B. im steirischen Bad Waltersdorf im dortigen Kurpark aufgestellt – mit durchwegs positiven Resonanzen zu diesem nicht nur praktischen, sondern auch ästhetisch ansprechenden Produkt. Außerdem denken wir auch schon darüber nach, ob man daraus weitere Produkte ableiten kann. Ein Buswartehaus etwa; oder Kombiladestationen für Autos und E-Bikes.
Ist das mehr was fürs Image oder hat das auch Marktpotenzial?
Bei 400.000 E-Bikes, die pro Jahr in Österreich gekauft werden, geht es sicher nicht mehr bloß ums Image. Ich bin ja selbst ein durchaus kritischer Geist und breche nicht gleich bei jeder Idee in Euphorie aus. Aber wenn man sich die Entwicklung ansieht, dann wird der Bedarf an Ladeinfrastruktur logischerweise enorm steigen.
Was ist das eigentlich, was da vor mir auf dem Tisch liegt? Diese runde Scheibe aus gepresstem Kunststoffgranulat.
Das sind Aufleger für Kabeltröge, die entlang von Eisenbahntrassen für die Kabelführung verlegt werden. Jeder Kabeltrog, der über einer festen Fahrbahn eingebaut wird, steht auf vier solchen Scheiben. Die Kabeltröge brauchen Aufleger, damit das Wasser darunter abrinnen kann und sich kein Rückstau bildet. Die Aufleger stellen wir aus recycelten Reifen her. Wir haben sie gemeinsam mit der KIAS, dem Recycling-Unternehmen in unserer Gruppe, entwickelt und erfolgreich auf den Markt gebracht. Normalerweise werden die Autoreifen als Ersatzbrennstoff für die Zementindustrie verwertet. Zur Vertiefung unserer Wertschöpfung, aber auch um das Recycling von Altreifen weiterzuentwickeln, haben wir dieses neue Produkt kreiert, das noch dazu perfekt in unser Betonfertigteilportfolio passt. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir an Innovation herangehen. Früher wurden die Tröge auf Bänder aufgelegt, da gab es das Problem, dass sie verschlammten. Das geschieht nun nicht mehr.
In aller Munde ist derzeit die Digitalisierung.
Die Stunde der Digitalisierung hat auch bei uns längst geschlagen. Wir treiben sie in allen Bereichen voran. Auf der Straße etwa, wo wir dran arbeiten, für alle unsere Fertigteile in den Bereichen Rückhalte-, Lärmschutz- und Steinschlagschutzsysteme ein lückenloses Rückverfolgbarkeits- und Identifikationssystem einzurichten. Entstanden ist das Thema aus dem Motiv, die Montageabrechnung zu erleichtern. Mittlerweile hat sich die Idee von ihrem ursprünglichen Einsatzmotiv emanzipiert. Denn wir können damit auch unseren Kunden wie etwa der ASFINAG einen enormen Mehrwert beim Monitoring und bei der Wartung dieser Systeme bieten. Ein Riesenthema ist auch BIM.
Building Information Modeling.
Ja, aus unserer Sicht heißt das vor allem: Wir müssen unsere Produkte so weit digitalisieren, dass sie umfassende standardisierte Informationen mit sich tragen, damit wir Planern und Baufirmen einen userfreundlichen digitalen Bauteilekatalog zur Verfügung stellen können, mit dessen Hilfe sie ihre Planung abwickeln können. Das ist unser oberstes Ziel. Im Hintergrund haben wir bei der MABA das Sortiment von 70.000 Artikel auf etwa 3.500 Standardartikel bereinigt. Das Arbeiten mit BIM wird zu einem wesentlich effizienteren und strafferen Bau- und Kostenmanagement führen. Eine Autozulieferindustrie würde zum Beispiel ohne einen solchen Digitalisierungsgrad gar nicht mehr überleben können. Gleichzeitig ermöglicht allerdings gerade dieser hohe Grad an Digitalisierung auch wieder mehr Individualisierung. Das sind keine Gegensätze.
Bremst ein hoher Standardisierungslevel nicht die Bereitschaft, Neues zu entwickeln?
Nein. Auch das sind keine Gegensätze, wenn man die Matrix der Innovation mit Leben erfüllt. Im Gegenteil: Standardisierung schafft auch wieder Raum für Beweglichkeit, Offenheit und Bereitschaft für Neues. So habe ich zum Beispiel eine Anfragenverwaltung über das ganze Unternehmen eingeführt: Damit erkennen wir sofort, wenn sich irgendwo in unseren Geschäftsfeldern Bedarf nach bestimmten Lösungen artikuliert. Wenn wir bemerken, dass es eine entsprechende Nachfrage gibt, definieren wir einen Produktstandard und setzen das um. Außerdem arbeiten wir, wie schon skizziert, laufend daran, Lösungen auch für andere Anwendungen verwendbar zu machen. Kann ich zum Beispiel das Trafogehäuse nicht auch als Technikkeller für ein Einfamilienhaus verwenden? Ein weiterer Aspekt: der Designanspruch. Auch in diesem Bereich entwickeln wir uns laufend weiter.
Es gibt ein geflügeltes Wort: Wer zu spät kommt …
… den bestraft die Geschichte.
Sind Sie mit Ihrer Digitalisierungsagenda und den damit einhergehenden Investitionen früh genug dran?
Ich bin überzeugt davon, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Es gibt ein immer größeres Bewusstsein dafür bei Kunden und Kooperationspartnern. Und wir haben jetzt auch eine klare Vorstellung davon, worauf es ankommt und welche die geeigneten Mittel der Umsetzung sind. Wären wir zu früh dran gewesen, hätten wir uns womöglich im Nebel der noch nicht ausgereiften konkurrierenden Systeme verirrt und wären Gefahr gelaufen, komplett falsch zu investieren. Es kann also auch umgekehrt gelten: Wer zu früh kommt …